TW: Sexuelle Nötigung


„Mach‘ mal nicht so ein Drama um etwas, was 7 Jahre her ist.“
„Das war doch gar nicht so schlimm“ (andere haben es viel schlimmer)
Solche Aussagen sind meine größte Angst. Aber was für andere eine Geschichte aus einer anderen Zeit ist, spukt mir seit dieser Zeit im Kopf rum.
Aber fangen wir beim Anfang an. Ende 2015. Ich war ziemlich neu auf Twitch. Damals bin ich in die mental schlimmste Phase meines Lebens geschlittert, wie ich rückblickend feststellen musste. Aber darum geht es heute nicht. Ich erwähne es, weil es mich instabil und ängstlich gemacht hat. Zudem fühlte ich mich noch sehr „klein“ und „neu“ auf Twitch. Ich hatte schon einige Kontakte geknüpft und mich sehr darüber gefreut, dass viele mich so herzlich aufgenommen haben.
Im November 2015 habe ich mit Vlesk abgemacht, ihn ein Wochenende in Berlin zu besuchen. Der ein oder andere hat sicher direkt einige Gedanken dazu im Kopf. Aber wartet noch einen Augenblick. Ich dachte damals, wir würden uns als Freunde sehen. Naiv? Dann würdet ihr allen Menschen nur böse Absichten unterstellen. Ich hatte bis dato in meinem Leben nie schlechte Erfahrungen in der Hinsicht gemacht – viele davon waren Freunde, die ich über das Internet kennengelernt habe. Wundervolle Menschen. Da auch Baso und Vlesk sich damals schon kannten und die beiden gut befreundet waren, dachte ich „scheint ein cooler Typ zu sein, die beiden haben ja auch schon auf der Gamescom zusammen übernachtet und alles gut“ und so bin ich also nach Berlin.
An dem Abend hatte er dann versucht, mich zu küssen. Ich habe verneint und danach war auch erstmal alles wieder normal. Hm, schon unangenehm, aber ich konnte es ja noch abwenden und wir haben danach normal weitergequatscht in seinem Wohnzimmer. Allerdings hat er es mit einigen zeitlichen Abständen erneut probiert. Mehrmals. Mit mehreren Neins. Schon beim zweiten Mal war es mir super unangenehm, weil versetzt euch mal in diese Lage. Ihr habt bereits abgelehnt, sitzt bei der Person zuhause und wollt eigentlich noch bis Sonntag bleiben. (Dazu mentally broke, nun). Es wurde später und weil er nicht aufhörte, hab ich’s irgendwann über mich ergehen lassen. Die vielen Neins haben ja nichts gebracht. Der Alkohol hat es erträglicher gemacht. Ich hab mehr getrunken, um dieses Gefühl des Ekels zu ertragen. Ich wollte das nicht. Es fühlte sich aussichtslos für mich an. Das „Schlimmste“ konnte ich zum Glück verhindern. Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, aber auch ohne das „Schlimmste“ können einige zwischenmenschliche Erfahrungen sehr unangenehm sein und müssten sich nicht nur auf ein „er hat dich halt geküsst“ beschränken.
Aber – du hättest doch einfach die Tür nehmen können? Wäre ich nicht selbst in dieser Lage gewesen, hätte ich mich das vermutlich auch gefragt. Aber stellt euch vor ihr seid neu auf Twitch, klein, unbedeutend, er kennt alle, er kennt deinen Ex (mit dem er sich auch folglich noch über mich lustig gemacht hat wegen etwas anderem), ich hatte Angst, dass er irgendwas sagt und ich die Dumme bin. Dass ich lüge. Dass ich übertreibe.
Ich verweise an der Stelle an den TwitLonger von Paarzival, den einige von euch sicherlich schon kennen. In den Kommentaren könnt ihr genügend Gründe finden, warum man sich nicht traut, etwas zu sagen. https://twitter.com/PaarzivalTwitch/status/1633515798949163010

Jedenfalls ließ ich das Wochenende so über mich ergehen und dachte, dass es ansonsten ja ganz schön war und er nett zu mir war. Im Nachhinein habe ich mir sogar eingeredet „naja, wenigstens fand dich ein Typ attraktiv und du warst ansprechend für ihn“ und so einen Müll, mir war es peinlich und ich habe lange Zeit geschwiegen und es niemandem gesagt. Nichtmals meinen engsten Freunden.
2016 hat er sich zudem in einem persönlichen Moment bei mir entschuldigt (nicht genauer Wortlaut) „Ich möchte nicht mehr so ein Mensch sein, es tut mir leid, ich möchte mich bessern“ Und ich habe ihm geglaubt. Es tat unglaublich gut. Danach fiel es mir viel leichter, mit ihm umzugehen und ich konnte ihm verzeihen. Zudem war es in den kommenden Jahren trotzdem leichter, ihm aus dem Weg zu gehen, da wir oft in unterschiedlichen Bubbles unterwegs waren. Aber hier habt ihr auch die Erklärung dafür, warum ich mich damals aus so vielen Among Us Runden ferngehalten habe. Ich konnte das einfach nicht – auch wenn mich andere oft danach gefragt haben, warum ich selten bei Runden dabei war. Es hätte mir Spaß gemacht, mit anderen Creatorn zu connecten, aber nicht auf diese Art und Weise.
2020 habe ich dann durch Zufall herausgefunden, dass eine Freundin von mir ebenso schlechte Erfahrungen mit ihm gemacht hat, die noch viel schlimmer waren und sich über einen längeren Zeitraum erstreckten, als die meine. Hier reden wir vom „Schlimmsten“. Und da habe ich erstmal verstanden, dass er sich gar nicht gebessert hat und ich naiv war, das zu glauben. Dass es naiv war anzunehmen, ich war der einzige Ausrutscher. Er war ein Wiederholungstäter. Gibt es eine Dunkelziffer? Ich habe zudem erfahren, dass seine Entschuldigung von 2016 dem Verhalten galt, als er sich mit meinem damaligen Ex über mich lustig gemacht hat und er DAS nicht mehr machen wollte. Puh.
Ich wusste ehrlich nicht, was ich in dem Moment fühlen sollte. Wir schrieben. Er und ich. 2020. Er hat mich das erste Mal aufrichtig gefragt „Ich dachte, das war damals einvernehmlich?“ Aber in Kurzform war meine Antwort „Wie können so viele Neins einvernehmlich sein?“ Wenn jemand irgendwann aus Hoffnungslosigkeit einknickt und es über sich ergehen lässt, weil alle Neins nichts gebracht haben und man sich gefangen fühlt in seinem Zuhause? Weil ich mich gefühlt habe, als hätte er unsere Freundschaft ausgenutzt? Ich habe ihm alles aus meiner Sicht erklärt und er hat zugehört. Er hat für die Situation die besten Worte gefunden, die man finden konnte. Es klang wirklich aufrichtig. Aber es fiel mir immer noch schwer, mit ihm umzugehen. Ihn mittlerweile „überall“ zu sehen, nicht zuletzt auf riesigen Plakaten als eines der Gesichter der TwitchCon. Auf verschiedenen Events. Ihr denkt, im selben Team der Bonjwa Jugendspiele zu sein war leicht? War es nicht. Ich habe mir Mühe gegeben, kein großes Drama daraus zu machen, ich wollte stark sein, ich wollte darüber hinwegsehen. Aber ihr könnt euch vorstellen, dass es jedes Mal eine ziemlich schwierige Situation war, mit ihm zu interagieren. Emotional schwierig. Es ging mir wirklich nie gut damit. Über Jahre. Auch 2020 habe ich überlegt, etwas öffentlich dazu zu schreiben. Vor allem aus Respekt vor der Freundin, die ich gerade erwähnt habe, habe ich nichts gesagt. Für sie war es noch zu frisch und es wäre zu viel gewesen, sich öffentlich damit auseinanderzusetzen.

Letztens dann durch den Expose von Eistuete (siehe Link oben) kam das alles wieder hoch. Ich befinde mich zurzeit wieder in einer Phase, in der mich auch andere Dinge mehr beschäftigen und ich habe gemerkt, dass ich es gerade nicht so leicht wegstecke. Ich habe mit einigen Leuten darüber geredet und infolgedessen kam es natürlich auch ihm zu Ohren. Er hatte mich Mitte März angerufen, leider lief die Kommunikation woher er meine Nummer hatte nicht so gut, daher hat mich das Gespräch überrumpelt (aber dafür kann er nichts! Er wollte sich versichern, dass es okay für mich ist) Leider wurde ich nicht vorher informiert und in mir sackte alles zusammen. Ich war eigentlich dabei, für die Uni zu lernen. Wir haben eine Stunde geredet und auch hier fühlte ich mich gehört und respektiert. Es ist sein gutes Recht, darüber zu reden. Gerade wenn ihm zu Ohren kommt, dass ich darüber rede. Gerade in einer Zeit, wo genau diese TwitLonger verfasst werden. Aber es ist dennoch stark, das Gespräch zu suchen und sich den Geistern der Vergangenheit zu stellen. Das macht nicht jeder. Zumal aus seiner Perspektive vermutlich auch öfters alles okay war, da wir ja „normal“ miteinander interagierten, wenn wir einen gemeinsamen Job hatten. Dennoch hatte auch er sich natürlich darüber Gedanken gemacht, was ist, wenn es doch nochmal hochkommt. So redeten wir und ich sagte, ich würde gerne „in einer Woche“ nochmal darüber reden, da ich noch zwei Klausuren schreiben bzw. dafür lernen musste. Ich will nicht meine Hand dafür ins Feuer legen aber ich meine mich zu erinnern, dass es auch okay war, wenn ich mich melde, sobald ich bereit bin. Leider hat er sich direkt am selben Wochenende gemeldet – seine Intention war gut: Fragen, ob meine Klausur gut verlief und mir ein schönes Wochenende gewünscht. Aus meiner Sicht sackte aber erneut alles in meiner Magengegend zusammen, sobald ich sah, dass ich eine Nachricht von ihm hatte. Ich sagte, ich müsse noch für die zweite in der darauffolgenden Woche lernen und hoffe, er hätte ein schöneres Wochenende. Habe versucht, mich wieder zu sammeln und zu lernen. Es kam keine Antwort. Gut (wirklich gut). Abends machte ich den Fehler, auf Twitter zu sein und habe einen Tweet über die Vitamin b-ubble geposted. Daraufhin schrieb er mir erneut bei Whatsapp. Ich hätts ignorieren können. Sollen. Aber ich wollte irgendwie nett sein und antworten? Außerdem trifft es einen sowieso emotional komplett, sobald man gewisse Trigger sieht (in dem Fall seinen Namen / eine Nachricht von ihm). Ich war wieder gedanklich komplett woanders und rückblickend fand ich es auch super übergriffig, dass er hierzu mehrmals seine Meinung schrieb, obwohl ihn das Thema gar nicht betroffen hat, während er wusste, dass ich noch nicht durch bin und wir ja erst danach reden wollten. Dann hatte er am Ende noch gesagt, er wollte es besser machen als früher und sich für andere einsetzen. Leider hieß das, dass er gegen mich argumentiert hat. Und ich meinte irgendwann nur noch „Deine Intention ist gut, aber ich glaube, ich bin die falsche Person dafür.“ Und ich hoffe, ihr versteht diese Aussage.
Danach war der Abend eigentlich gelaufen und ratet mal, wer aufgegeben hat, für die Klausur zu lernen (oder überhaupt hinzugehen. Aber bitte schreibt nichts zu dem Thema, gibt Zweitklausuren und all good! Hätte ja auch generell eher lernen können. Wenns dich die letzten Tage vorher wegschallert, ists trotzdem hart). Der Kontakt am Samstag musste einfach nicht sein. Ich fand es schade, dass er nicht respektiert hat, dass ich erst nach den Klausuren reden wollte und dass er überhaupt nicht verstanden hat, was das in mir auslöst. Was für íhn eine gute Idee war, war für mich grenzüberschreitend und heikel in einer Situation, in der es mir eh schon schwer fiel, zu lernen. Das sagte ich ihm auch eigentlich schon am Telefon einige Tage vorher und er wusste ja auch durch meine Antwort am Mittag, dass ich noch nicht durch war. Ich habe mich schweren Herzens dazu entschieden, Twitch Gladiator abzusagen.
Im Moment stehe ich sehr neben mir und mich holen einige Dinge ein. Und auch wenn es spät kommt, viel zu spät: Es ist Zeit, die Wahrheit zu sagen. Ich kann nicht weiter schweigen und lügen und tun als wäre nie was gewesen. Als wäre alles okay. Ich kann nicht mehr. Ich war oft genug stark. (Und nun genug vom „Ich“ :D)
Vlesk ist kein per se schlechter Mensch. Alleine die Art, wie er mir zuhört und versucht, meine Seite zu verstehen. Wie er mir meinen Teil der Geschichte zusteht, auch wenn er es anders wahrgenommen hat. Dass er das Gespräch suchte. Dass er in den letzten Jahren seine Reichweite genutzt hat, um viel Gutes zu tun. Er sagt mir, er habe z.B. mittlerweile eine andere Beziehung zu Alkohol, da es ihm damals absolut nicht gut tat. Dass er viel an sich gearbeitet hat und es immer noch tut. Seine Worte klingen wirklich aufrichtig, authentisch. Und dafür möchte ich ihm – dir – danken. Dass du immer deine Hand gereicht hast, um mir zu ermöglichen, einen Weg zu finden, damit umzugehen. Eine Zeit lang war es gewiss leichter, als man nicht so viel voneinander mitbekommen hat.
Aber dadurch, dass sein Gesicht in letzter Zeit überall auftaucht, sein Name unerwartet in Konversationen fällt und man sich teils auf Events gegenübersteht (obwohl ich mich nicht immer darauf einstellen konnte) hat jedes Mal einen Stich hinterlassen. Ich scrolle durch Instagram und kriege eine Werbeanzeige eingespielt, in der ich ihn plötzlich sehe. Social Media kann ein Segen und ein Fluch zugleich sein! Aber in dem stetigen (oft natürlich indirekten) Kontakt können einige Wunden schlechter heilen, weil sie immer wieder ein bisschen aufgerissen werden.
Ich möchte meine Geschichte teilen, eben weil ich nicht die einzige war – und weil ich weiß, dass es vielen mit anderen Menschen und ihren eigenen Erfahrungen ähnlich geht. Dass viele von euch sich nicht trauen, etwas zu sagen. Dass viele sich klein fühlen, ängstlich, unbedeutend, dass euch eure Geschichte abgesprochen wird. In den vergangenen Jahren habe ich viele Geschichten von mehreren anderen Streamern gehört, oft anonym, weil diese wundervollen Menschen sich nicht getraut haben, den Namen zu erwähnen. Ja, es gibt noch mehr. Es tut mir so unglaublich leid für euch und für das, was ihr erlebt habt. Nicht alles ist Gold was glänzt, manchmal ist es mehr Schein als Sein… egal, was man für einen Spruch nutzt. Ihr seid nicht alleine. Vielleicht findet jemand die Stärke, ebenso einen Teil der Wahrheit zu erzählen. Vielleicht hilft es jemandem, zu wissen, dass ihr nicht alleine seid. Dass es hart ist, stark zu sein. Und dass es okay ist, es nicht zu sein. Ich habe mich mittlerweile vielen Menschen anvertraut und es war rückblickend das Beste, was ich tun konnte. Es half mir, meine Geschichte zu verstehen (wenn ihr euch erinnert: Ich hab mir am Anfang so krankes Zeug eingeredet) und ich wurde von vielen Freunden ernst genommen. Ich lieb euch alle. Und ebenso wichtig: Ich wurde auch von ihm ernst genommen. Ich kann nicht davon ausgehen, dass jeder mit seiner „Person“ so darüber reden kann oder es jemals wird. Aber ich möchte dir, Vlesk, erneut dafür danken. Auch dafür, dass du verstanden hast, warum ich das hier schreiben wollte und es abseits der Gespräche der beste Weg ist, um es für mich zu verarbeiten und endlich damit abschließen zu können.

Was ihr für euch damit anfangt, bleibt euch überlassen. Sollt ihr aufhören, ihm zu folgen? Nein. Sollt ihr ihn hassen? Nein. Sollt ihr mich scheiße finden, übertreibend, und hinter ihm stehen? Ja, wenn euch danach ist. Das ist alles eure Meinung und eure Entscheidung. Aber ich möchte euch meinen Teil der Geschichte mitgeben, damit ihr SELBST entscheidet, was ihr damit macht. Vielleicht könnt ihr es auf eigene Erfahrungen übertragen. Vielleicht hilft es euch. Und vielleicht glaubt ihr auch in das Gute im Menschen und seht, dass Menschen aus Fehlern lernen können und sie bereuen. Es ging mir oft nicht gut damit. Aber ich möchte ihm glauben.

Eine letzte Bitte: Wenn ihr ein kleines bisschen Respekt für euer Umfeld habt, kommt mit diesem Thema bitte weder bei ihm, noch bei mir in den Stream oder schreibt uns dazu an. Wenn er etwas dazu äußern mag, wird er selbst wissen, ob und wann der richtige Zeitpunkt dafür ist und ich habe hier glaube ich vorerst alles niedergeschrieben, was ich euch dazu sagen kann.

Danke für eure Zeit
- Leslie

Reply · Report Post