Shurjoka

Joka · @Shurjoka

9th Feb 2023 from TwitLonger

Ein offener Brief


Hallo liebe Community,

Ich melde mich noch einmal bis Montag ab.

Um ehrlich zu sein geht mir die aktuelle Situation ziemlich hart an die Substanz.

Seit 8 Jahren gehört es zu meinem Content auch über die richtig unangenehmen Dinge zu sprechen und mich mit gesellschaftlichen, politischen und sozialen Themen zu beschäftigen. Dabei sind immer mal wieder Sachen dabei die mich persönlich mehr treffen als andere.
Bis jetzt ist es mir meistens ganz gut gelungen einen persönlichen Abstand zu gewinnen und dann nach den Streams etwas Distanz dazu zu schaffen.

Diesmal schaffe ich das nicht.

In der Vergangenheit wurden die meisten schwierigen Themen nicht in dieser Masse von anderen Influencer:innen, von Kollegen, aufgegriffen und kommentiert und wenn sich jemand zu etwas geäußert hat, dann waren es meistens die selben Personen, die sich eben auch zu Themen äußern wollten, sich damit beschäftigt haben oder irgendwie den Willen gezeigt haben, sich damit auseinander zu setzen.
Man hat wenig bis gar nichts von Influencer:innen erwartet und hatte seinen „Soll“ damit erfüllt auf ein Problem mit Charity Projekten „einfach Geld drauf zu werfen und gut ist“. Wenn dann noch mehr kam, war das schon insanely geil.

Diesmal betrifft das Thema einfach die ganze Szene. Dieses Spiel hat eine politische Symbolik, es ist ein Katalysator für ein bestehendes gesellschaftliches Problem, und als Gaming Bubble sind wir alle involviert, auch wenn wir das gar nicht wollen.

Es ist nicht die Unwissenheit die mich so trifft, sondern die nicht-Bereitschaft und das absolute Unvermögen sich mit der Thematik ernsthaft auseinander zu setzen, und die daraus resultierenden infantilen Trotz- und JetztErstRecht- Aktionen.




Die Art und Weise wie unbetroffene Personen sich herausnehmen zu entscheiden, ob etwas „schlimm ist oder nicht“. Die endlose Relativierung der Lebensrealität von Menschen, die False-Balance und „AbEr BeIdE SEiTeN“ Takes mit denen man Betroffene zum Schweigen bringt und das kollektive Weg-Schauen, Nicht-Moderieren und sich gegen die eigene Verantwortung mit der eigenen Reichweite zu stellen, in dem man trans und generell queer feindliche Aussagen kommentarlos in Chats stehen lässt, diese mit unaufgeklärtem Verhalten teilweise bestärkt oder sich sogar selbst daran beteiligt.
Die nicht Bereitschaft zuhören zu wollen, sondern die eigene Flucht in eine Opferrolle, weil das leichter ist als sich einzugestehen, dass man manche Dinge nicht begreift.

Mir schreiben derzeit täglich Dutzende betroffene Personen, in den letzten Tagen waren es mehrere hundert. Ich bekomme Screenshots von Twitch Chat Verläufen, von Privat Nachrichten, von Twitter Threads und Reddit Beiträgen in denen queer Feindlichkeit ausgelebt, verharmlost oder sogar zelebriert wird. Teilweise aus oder mit Chats von Influnecer:innen mit denen ich gerade erst noch Content gemacht habe.

Ich kann nicht die nötige Dissonanz aufbringen um mich davon zu distanzieren. Ich sehe und lese und höre jeden Tag wie schlecht es Menschen damit geht, und empfinde die Reaktionen von vielen Creator:innen als gesellschaftlichen Akt der Gewalt gegen eine ohne hin schon gefährdete marginalisierte Personengruppe und auch jede:n Creator:in die versuchen sich zu solidarisieren.

Es tut mir so unendlich Leid, was hier gerade passiert. Es tut mir so Leid, wieviel Enttäuschung, Frustration, Verzweiflung und Wut gerade berechtigterweise aus dieser Community kommt. Es tut mir so Leid, dass viele Creator:innen nur dann Interesse an einer Allyship zeigen, wenn sie Regenbogen Merch verkaufen können.

Ich danke euch für euer Vertrauen, dass ihr mir diese Dinge schreibt, sagt, anvertraut. Ich danke allen Creator:innen die zuhören, reagieren und sich solidarisieren.

Ich empfinde Respekt und Wertschätzung vor Menschen, die die Größe haben zuzugeben wenn sie etwas nicht verstehen, und die Bereitschaft aufbringen sich damit zu beschäftigen.

Ich habe das Gefühl, dass ich für den Moment nicht mehr geben kann, als ich seit Wochen versuche. Deswegen nehme ich mir ein paar Tage Zeit um erstmal aufzuarbeiten, zu verstehen, zu lernen und durchzuatmen. Ich muss für mich entscheiden, wie ich zukünftig damit umgehen kann und ich möchte der Erwartungshaltung und Verantwortung die ich mit meinem eigenen lauten Verhalten in diesem Thema übernommen habe, versuchen so gut wie ich kann gerecht zu werden.
Deswegen vor allem ein unendliches Dankeschön an all die Betroffenen Personen, insbesondere die trans oder nicht binären Menschen in meinem Umfeld, die mir so viel beigebracht haben, mich immer wieder korrigieren und gleichzeitig so viel Liebe mit mir teilen, obwohl es sie viel krasser trifft als mich jemals.

Ich schreibe diesen Text, weil ich frustriert bin. Weil ich in vielen Bereichen verzweifelt bin. Weil ich auch wütend bin, aber weil ich vor allem viel gelernt habe und hoffe in diesem Jahr mit besserem Verständnis und mehr Werkzeug noch mehr mit euch gemeinsam erreichen zu können.

❤️✨

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