Zu den beiden Beispielen im Abschiedsbrief von @d1etpunk, weil sie mich leider ziemlich geärgert haben:

Zunächst ein mal möchte ich dir auch noch danken für deine langjährige Arbeit in der Piratenpartei. Ich hoffe du verstehst meine Anmerkungen nicht als persönlichen Angriff, denn das sollen sie nicht sein. Deine beiden Beispiele scheinen mir nur leider so symptomatisch für viele Ausgetretene zu sein und ich halte das alle für so unnötig. Für so einfach viel zu unnötig...


Punkt eins: Online-Teilhabe.

Eine Geschichte voller Missverständnisse... Seitdem diese Partei existiert, macht sie einen extrem großen Teil ihrer Arbeit online. Wir haben eine Menge Werkzeuge, arbeiten kollaborativ und offen, häufig für alle einsehbar und mit sehr niedrigen Hürden daran teilzunehmen, selbst für Nicht-Mitglieder.

Dann kamen Leute, die mit Liquid Feedback Entscheidungen treffen wollten. Kann man wollen. Kein Problem. Reden wir halt drüber, und schauen, ob das eine gute Idee ist. But that escalated quickly... Leider wurde dann kampagnenartig alles und zwar wirklich alles, was wir an Online-Beteiligung haben, systematisch für irrelevant, unwichtig oder nicht-existent erklärt. Online-Teilhabe wurde auf "Entscheidungen per LQFB treffen" reduziert und gerne mal als "unerfülltes Versprechen" deklariert, obwohl diese Versprechen von der Partei so nie gegeben wurde. Im Gegenteil zeigt ja schon die Ablehnung von Wahlcomputern, dass das Feld der digitalen Abstimmung für uns nicht unbedingt ohne Probleme ist (und ja, die Frage ob Abstimmung oder Wahl ist relativ schnuppe und nur indirekt relevant in der Frage ob geheim oder nicht-geheim). Ich kann verstehen, dass man etwas, das man durchsetzen möchte, als sehr wichtig darstellt, aber hier ging es auf Kosten von allem, was wir bereits erreicht hatten. Die eigene Partei hat unsere eigene Online-Teilhabe kaputtgeredet, weil man noch etwas anderes einführen wollte. Und das auch völlig ohne Skrupel in der Presse. Was für eine dämliche Idee. Wirkt aber nach bis heute. Es wird so getan, als wären wir eine Offline-Partei. Völlig absurd.

Angeblich gibt es keine Auswertungen zu LQFB. Haha. Die gibt es stapelweise. Von denen wollte die "Pro"-Seite nur nie etwas wissen. Die Reaktion darauf war all die Jahre in etwa "LALALALALALA alles unwahr LALALALALA". Es gibt jede Menge Analysen (übrigens nicht nur von mir), die passten nur nicht ins gewünschte Bild, sondern machten diejenigen, die sich wirklich dafür interessiert haben, zu "Bedenkenträgern" und "Ningelbienchen". Und dann in dieser Sache "evidenzbasierte Politik" vermissen, wirkt auf mich wie Hohn.

Nein, wir könnten tatsächlich weiter sein in Punkto Online-Teilhabe. Leider war ein Teil der Partei zu sehr damit beschäftigt eine kompromisslose Kampagne für ihre Vorstellung von Liquid Democracy zu fahren und jederzeit dazu brereit dafür verbrannte Erde zu hinterlassen. Das löst unsere existierende Online-Beteiligung aber nicht in Luft auf.


Punkt zwei: Politische Kommunikation braucht Anonymität um frei zu sein

Ich halte die Formulierung so für ein wenig verdreht. Ich würde eher sagen "In einer Gesellschaft muss man politisches auch anonym kommunizieren können, damit sie wirklich frei ist" oder sowas in der Richtung.

Ich finde es allerdings ein wenig schräg das ausgerechnet auf eine Kandidatin zu einer Wahl in einem Wahlkampf anzuwenden. Mir war so als wollten wir für den Staat und ihre Organe und die Wahlen dazu eigentlich Transparenz haben. Ich bin sicher, wenn Angela Merkel vermummt auf PEGIDA-Demos herumrennen würde, würden wir uns dafür auch interessieren. Oder wenn Waffenlobbyisten unerkannt in Wirtschaftsministerien herumschleichen wollen. Ich denke der Punkt oben ist schön so hingedreht worden, dass er gerade noch auf die Situation, um die es geht, passt. So ist das allerdings ganz bestimmt keine Piratenposition. Wer in ein Parlament möchte, kann nicht einfach eine Art politisches Doppelleben führen. Das ist doch absurd?!

Es ist allerdings auch irrelevant, denn es ging in dieser Sache ohnehin nicht um eine anonyme Meinungsäußerung. Es hätte eigentlich eine sein sollen, aber es war keine. Es war recht deutlich ersichtlich, um wen es sich da handelte. Ein Tuch um den Mund ändert daran nunmal nichts. Die Behauptung, dass sie von Parteimitgliedern deanonymisiert wurde, ist eine glatte Lüge. Es stand zu dem Zeitpunkt sogar schon in der Zeitung (ich glaube im Berliner Kurier, und der wird soweit ich weiß nicht von Piraten herausgegeben).

Das war auch schon immer das größte Problem an dieser Geschichte: Die Lügerei. Selbst Guttenberg hatte irgendwann eingesehen, dass er sich nicht weiter herauslügen kann. Nur bei uns ärgert man sich fast zwei Jahre später immernoch, dass es nicht geklappt hat und das nicht alle mitmachen wollten. Es konnte aber auch nicht klappen. Aufgeflogen ist aufgeflogen, Lügen machen es nur noch schlimmer. Es ist keine Frage der Anonymität. Die gab es da schon lange nicht mehr und die kommt auch nicht zurück, wenn man sich die Augen zu hält. Es ist eine Frage, ob man eine Politik will, in der sich die Politiker aus ihren Affairen herauslügen (wollen). Das ist nur leider nie bei ihren Verteidigern angekommen. In der Zeit damals, war das vermutlich auch der Emotionalität der Situation geschuldet. Aber Jahre später könnte man es doch eigentlich irgendwann mal einsehen...

Man muss die Geschichte schon wirklich sehr krass verbiegen, um mangelnde Glaubwürdigkeit zu Anonymität zu konstruieren und nicht erhaltene Glaubwürdigkeit gegen offensichtliches Lügen im Wahlkampf zu erkennen.

Es ist wie bei Liquid Feedback. Man will es haben und wenn es dann nicht so gut funktioniert, verweigert man sich einfach der Realität. Und wenn Kandidaten im Wahlkampf ne Aktion versemmeln, dann lügt man sich einfach die Welt wieder schön. Was soll das? Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, wie das für die Werte der Piratenpartei stehen soll.


Nee, es geht hier wohl eher um Präferenzen und um Freundschaften. Darum, was man gerne durchgesetzt hätte und die Enttäuschung, dass es nicht geklappt hat. Und um Menschen, deren Probleme man gerne hinweg ignoriert hätte, die dadurch aber nicht verschwunden sind. Das ist emotional verständlich, aber keine Basis für eine Partei.

Die Piratenpartei hat sicher eine Menge verkackt im Laufe der Jahre und tut es in einigen Dingen auch heute noch. Aber was wirklich zu dieser Austrittswelle geführt hat, scheint mir eher das Problem einiger (Ex-)Mitlgieder zu sein auch die unangenehme Realität zu akzeptieren und damit besonnen umzugehen. Wer dazu in der Lage ist, kann in der Piratenpartei immernoch für die selben Ziele eintreten, wegen denen man mal gekommen ist und die einem mal Spaß gemacht haben. Die politischen Themen, wegen denen diese Partei an den Start gegangen ist, sind alle noch da. Viele davon schlimmer als je zuvor. Die Piratenpartei tritt immernoch an, um sie zu verbessern. Wer die Pluralität einer Partei nicht aushalten kann, ist vielleicht tatsächlich als Aktivist besser aufgehoben, aber wer glaubt die Themen müssen auf die Stimmzettel und in die Parlamente getragen werden, kann das immernoch hier tun. Daran hat sich seit Jahren nichts geändert.

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