yadayadayy

Fremde · @yadayadayy

3rd Jan 2015 from TwitLonger

Brief 2 an Michael Wollmann


Hallo Michael,

vielen Dank für deine Antwort. Das Präfix »ant« steht für die Entgegnung (prägnanter im Ausdruck „anti“). Ant-wort zielt der Wortwurzel nach nicht auf eine Verständigung. Sie soll die gegnerische Einstellung zum Ausdruck bringen. Wäre eine Einigung vorhanden bedürfe es keinen weiteren Wortes mehr. Jede Antwort die nicht bloß Selbstgefällig ihre eigene Stimme hören oder Schrift sehen will, ist nicht primär Verständigungsabsicht/Einigungsabsicht. Sie ist Mitteilungsabsicht. Die Antwort teilt mir die Worte des Gegenübers mit. Ein denkerischer Austausch, wie du es formulierst, würde den Tausch der Gedanken bedeuten. Ich erhalte deine, du als Gegengabe meine. Nun sind unsere jeweiligen Gedanken beim anderen, und für uns sind sie weg. Das wäre ein wahrhafter Perspektivenwechsel, der sich in der Wirklichkeit nie vollzieht. Die eigenen Gedanken bleiben und sie mögen sich noch so offen für die Gedanken des anderen sich gebären, sie sind bereits der Garant dafür, dass kein Tauschgeschäft stattfinden kann. Die eigenen Gedanken werden in der Mehrzahl sich durchsetzen, dafür wurden sie zu lange gehegt und gepflegt, zu lange aufgebaut, sich schon zu sehr an diese Torheiten gewöhnt. Gadamer berichtete einst, wie er im persönlichen Gespräch mit Heidegger eine seiner Grieschichübersetzungen kritisiert hat, er legte ihm eine andere Wortverwendung nahe. Heidegger gab Gadamer Recht, er hatte ihn scheinbar überzeugt. In der nächsten Buchauflage war jedoch weiterhin die ungenaue Wortverwendung beibehalten. Ich gehe davon aus, dass Heidegger als aufmerksamer Leser durchaus eine Veränderung anbringen hätte können, jedoch gefiel ihm dann doch seine Wortübersetzung besser, auch wenn sie nicht korrekt dem Wortsinn nach war. Zumindest wenn Gadamer in dieser Erzählung gefolgt wird. Ich weiß daher nicht ob wir uns in der Sphäre der Verständigung bewegen. In meinem Briefen bleibe ich doch bei mir, umso mehr, wenn du Gedanken auslässt, da sie für dich unerheblich, selbstverständlich sind, so dass sie nicht weiter ausgeführt werden müssen. Diesen Punkt werde ich gleich noch berühren. In unserer Wortbegegnung erfahren wir in Auszügen die Sprachwelt des anderen. Wir versuchen dabei Raum für die Gedanken des anderen zu lassen, sie anzuhören, sie zu bedenken, sie nicht voreilig abzulehnen. Wir gleichen nicht dem Troll der mythischen Sagenwelt. Wobei ich ohnehin nicht weiß, ob dieser Troll wirklich die Menschen so auf den Arm genommen hat, wie das neuformulierte Verb »trollen« nun nahe legt. Ich kenne mich in solchen Sagenwelt nicht genug aus, wobei diese Sagenwelten auch nur Sprachwelten sind und daher wohl gar nicht soweit der eigenen Welt entgegensteht. Beide Welten bewegen sich im Medium Sprache.

Ich kann sehr unbarmherzig im Wortangriff sein und habe dich direkt oder indirekt bzw. deine geliebte Aphorismusform scharf kritisiert. Solange die Angriffe oder milder Erörterungen einer Denkbewegung zu Grunde liegen, bewegen sie sich auf festem Grund. Die eigene Eitelkeit wird sich daran nie so sehr stören um den Wortkontakt ganz abbrechen zu lassen. Wir trollen uns folglich nicht, aber wir sind von einer Verständigung wohl auch weit entfernt. Wobei ich gerade feststelle, dass Verständigung nur bedeutet, sicherzustellen, dass eine Mitteilung zum anderen gelangt. Ich verständige die Polizei. Allerdings gibt es noch die Bedeutung zu einer Einigung zu gelangen. Nur worauf sollten wir uns da einigen? Auf Wörter? Wörter, die keine Wahrheit in sich tragen? Dann wäre die Verständigung wenig wert. Wir müssen im Unverstandenen bleiben, da uns, jedenfalls mir, die Existenz unverstanden bleibt, und ich auch deine Sprachgestalt und deine Körperlichkeit nicht als ein Verstehen aufnehmen, begreifen kann. Wir bilden ein temporäres Sprachgefüge und deine Worte fügen sich in meinen ein und nach der Lesung deines Briefes, bleibe ich doch mit meinen Gedanken ganz allein. In der Einsamkeit der Gedanken schieben sich Sätze hin und her und verdrängen gelebt meist die Sätze des anderen. Wem ist es schon je gelungen die Sätze eines Pascals, eines Nietzsche oder eines Schopenhauers zu leben? Es ist den meisten nur gelungen sie zu lesen. Sie zu leben hieße Pascal oder Nietzsche zu sein oder sie gar zu werden. Im Vollzug der eigenen Existenz kann ich nicht mit Michael Wollmann-Sätzen existieren, mir gelingt das nur mit Stefan-Dehn-Sätzen. Daher setzten sich die klugen Sätze auch nie langlebig durch, da sie über die eigene Körperlichkeit nicht hinausgelangen können. Wenn ich angeschossen im Krankenhaus liege bieten mir Senecas Worte keinen Trost. Ich kann sein amor fati nicht übernehmen. Ich kann kein Schicksal lieben, dass mich blutig schießt und mich leiden lässt. Seneca und sein Stoizismus entwertet sich durch seine Grundlage, dass er an einem gerechten Weltenlauf glaubt, er von einer Ordnung durch Götter ausgeht, die schon für das nötige Sorge tragen werden. Er kennt keine gottverlassene Welt. Wer im Einklang mit der Natur lebt, lebt für ihn im Einklang mit den Göttern. Nun fällt es ihm leicht Gleichmut zu predigen, schließlich vertraut er den Göttern, er hat seine Stützte gefunden. Ich bin mir nicht sicher ob es je ein Stoizismus auf Grundlage des Nichts gab. Wie sollte der auch aussehen, warum sollte es noch Gleichgültigkeit bedürfen, wenn alles Nichts ist? Nur in einer Welt von Werten hätte Gleichgültigkeit eine Bedeutung. Wenn alles Nichts wäre, dann wäre auch Angst und Panik vollkommen irrelevant, sie könnte sich geleistet werden, denn es käme nicht darauf an.

Sind meine bisherigen Ausführungen ein Abschweifen? Ich hätte es als „allzu offensichtlich“ außen vor lassen können. Nun schreibe ich die Briefe nie nur für den anderen, ich schreibe sie auch für mich. Ich kann dich nicht belehren. Du wirst meiner Worte in keiner Sekunde benötigen, du hast genug deiner eigenen. Meine Worte brauchst du nicht, aber ich brauche meine Worte. Ich setze nichts als selbstverständlich oder offensichtlich voraus. Schon allein weil mir viel von dem, was mir vor Jahren offensichtlich erschien, es nun schon lange nicht mehr ist. Wer seine Gedanken aussetzt, da er sie beim anderen voraussetzt, der sorgt dafür, dass das Gespräch seine Konturen verliert bevor überhaupt die ersten zaghaften Linien gezogen wurden. Was für dich offensichtlich ist, muss es für mich nicht sein. So bin ich auch an deinen Offensichtlichkeiten sehr interessiert, da ich dann nicht nur deine Abkürzungen erfahre, sondern von welchen »Offensichtlichkeiten« sich deine Gedanken nähren. Erst dann erfahre ich den Raum in denen deine Gedanken sich zur Sprache bringen. Vielleicht kann ich auch von deinen Offensichtlichkeiten lernen, da mir diesbezüglich einiges unbekannt war, da sich noch niemand mir gegenüber die Mühe gemacht hat sie darzulegen. Offensichtlichkeiten sind in der Sicht allen offen, allen zugänglich. Jede Offensichtlichkeit steht im engen Bezug zum Begriff Wahrheit, zumindest wenn sie unverborgen gedacht wird. Ich würde gerne die implizierten Wahrheiten des anderen kennenlernen, um ihn als Mensch und in seiner Gedanklichkeit umfassender kennenzulernen. Nicht einmal der Tod als Nichts ist solch eine Gewissheit, Offensichtlichkeit. Wenn auch ein naheliegender Gedanke, jedoch ist das etwas anderes. Ein Gedanke ist keine Offensichtlichkeit. Ein Gedanke kann nicht offen von allen eingesehen werden. Daher bitte ich dich, dich aus deiner Kürze herauszuwinden und auch Offensichtliches anzubieten.

Du meinst eine perfekte Philosophie würde zum Dogma erstarren. Dem muss nicht so sein. Die perfekte Philosophie könnte sich in ihrer Perfektion gerade dadurch auszeichnen, dass sie in so vielen Fragezeichen arbeitet, dass daraus nie ein Dogma entstehen kann. Oder die perfekte Philosophie ist Wahrheit und dann wäre sie durchaus erstrebenswert. Allerdings würde sie dann nur noch Wahrheit genannt werden müssen und nicht mehr perfekte Philosophie. Eine perfekte Philosophie ist eine vollendete Philosophie. So gesehen ist es nicht sehr wahrscheinlich diese je zu erleben. Sicherlich sind viele mit ihrem Denken schnell fertig, einfach da sie es an willkürlicher Stelle abbrechen. Nur ist das keine perfekte Philosophie, sondern eine Einfallsphilosophie, da sie sich auf einen einzigen Einfall beschränkt. Diese Philosophie ist nie vollendet, da sie ja nicht bis zum Ende hin durchdacht wurde. Sie hat einen Anfang, aber kein Ende, sie kann nicht als voll-endet bezeichnet werden.

Ich werde nun etwas gedanklich springen, da ich ein, zwei Punkte noch unterbringen wollte, die mir nach dem Absenden meines Briefes eingefallen sind. Philosophie bedeutet Liebe zur Weisheit. Entweder als Streben danach oder eben als angenommenen Besitz. Warum wurde es nicht Liebe zur Wahrheit benannt? Ich vermute aus guten Gründen, denn wie hätten die Griechen dann noch von (belegten) Göttern reden können? Liebe zur Weisheit wurde folglich als Namensgebung sehr bedachtsam gewählt. Eben um die Privatweisheiten zu ermöglichen. Die „Philosophie“, die ich bevorzugen würde, müsste sich daher, in vieler Hinsicht von den Griechen absetzen, und dennoch bereit sein, ihren anregenden Sätzen zuzuhören. Wer eine Weisheit verkündet, spricht von Wahrheit. Wer würde seine Weisheit als Lüge preisen? Ich bin daher sehr vorsichtig, wenn Menschen sich als weise bezeichnen oder Weisheiten anbieten wollen. Sie arbeiten im Hintergrund mit dem Wahrheitsbegriff. Ich kann nur sagen, so müsse gelebt werden, wenn ich das Leben und seine Implikationen als Wahrheit kenne. Ansonsten steht Ratlosigkeit auf dem Programm.

Ich greife den ersten Briefeinstieg erneut auf. Worin besteht die Brauchbarkeit der Philosophie und hat sie die überhaupt zu bieten? Bin ich verblutend am Sterben tröstet mich kein Wort, die Schmerzen überdecken alles. Zumindest ging es mir in ähnlichen Fällen so. Die Philosophie ist dann brauchbar, wenn es einem gut geht oder zumindest mittelmäßig, man entspannt Lektüren lesen kann. Aber dann wenn ich sie wahrlich benötige, im Sterbevollzug, spendet sie mir nur wenig Trost oder klugen Beistand, es sei ich habe ein lügenhaftes amor fati im Angebot, das mit heimlichen oder benannten Göttern arbeitet. Die Philosophie tröstet nicht, sie kann auch keine Lehren anbieten, die einem sonderlich weiterhelfen. Sie ist für den Lebensvollzug geeignet, nicht für den Sterbensvollzug. Würde mir ein ewiges Leben zugestanden werden, bräuchte ich vielleicht keine Philosophie. Auch wenn ich mich aus Privatinteresse wohl weiter dafür interessieren würde. Denn die Ewigkeit hebt die Fragen nicht auf. Wieso Ewigkeit und nicht viel mehr Endlichkeit usw.?

Auch ist das Philosophieren nicht menschengenuines wie ich einst annahm. Es wird zwar auf Kinder verwiesen, aber was ist mit Babys? Sie interessieren sich nicht für Gedanken. Sie interessieren sich für die Muttermilch und Schlaf. Philosophie ist nichts angeborenes, sie muss ergriffen werden. Beziehungsweise das Denken als umfassenderer Vorgang muss ergriffen werden. Philosophie ist nicht das dem Menschen Eigene. Sie ist durchaus etwas Fremdes und passt daher sehr gut in eine Existenz als Fremde. Babysein ist Zellleben, nicht Sprachleben. Philosophie ist sekundär, aber erst sie belebt das Primäre zu dem, was der Mensch später als Menschsein versteht.

Vermutlich lässt sich ein gutes Wort einlegen für die Philosophie als Bemerkungsangebot nicht als ultimativer Ratschlag. Mir hat es kürzlich Senecas Satz sehr angetan, dass auch eine mittlere Krankheit noch eine Krankheit ist. Dass es folglich nichts bringt seine Leidenschaften wohl zu temperieren. Werden sie als Laster und Belastung erkannt, müssen sie ganz verworfen werden. Das schützt dann davor im Leben unnötig sich noch mehr Qual anzuhäufen, als jene, die durch die Existenz generell schon da ist. Insofern sorgt diese Philosophie dann dafür, dass es einem nicht zusätzlich schlechter geht. Was durchaus sehr viel Wert sein kann. Die Frage wäre dann noch, ob ich diesen Satz leben kann, und ob ihn Seneca überhaupt selber als sein Satz leben konnte.

Weisheit ist weisen, einweisen in das Leben. In eine bestimmte Blickrichtung weisen. Alle anderen sollen abgelegt werden. Dann hätte ich schon gerne, dass diese Weisheit Wahrheit als Grundlage hat, da sie sonst in die Dummheit weist, oder zumindest in das einseitige Denken. Weisheit ist eine Festsetzung, Feststellung des Blickes, der Gedanken. Insofern kann dem Denker Weisheit nur schädlich sein, da sie sonst zu dem führt, was du als perfekte Philosophie befürchtet hast: Dogma.

Abschließend fragst du halb rhetorisch, nehme ich an, ob eine gerettete Seele überhaupt zu etwas gut wäre. Ich kann nicht für andere sprechen, aber wenn meine fiktive Seele mit all ihren Lastern und Torheiten gerettet wird, dann würde mir Ewigkeit nichts nützen. Ewiglich müsste ich dumm sein. Ich muss mich sozusagen vorher selber retten und ansatzweise Klug werden. Aber dazu müsste ich erst einmal die Quellen und Fakten der Klugheit kennen, dazu müsste ich die Existenz als und mit Grund kennen. Solange werde ich nie wissen, was Klugheit ist, ob sie möglich ist, solange werde ich nicht in Verbindung mit Weisheit steht. Oft sind Weisheiten nur Torheiten die nicht mehr weiter bedacht werden. Daran ist also nichts weise. Ich gehe weder davon aus, dass ich meine Körperlichkeit in Klugheit überführen kann, noch, dass solch eine Existenz dies ermöglicht. Ich lebe also ein Leben in Dummheit ab, umzingelt von Dummheit bzw. Grausamkeit (da Dummheit die Gegenseite Klugheit voraussetzt. Mit einer Ausnahme, die ich aber nun nicht erörtern werde, da es zu weit führen würde. In meinen Schriften steht dazu schon etwas.).

Auch ich habe nicht alles angeführt, was mir nun im Kopf stand oder zu Kopfe stand. Doch ich denke, dass hier angeführte genügt für deine Ant-Wort als Gegenrede. Zustimmung endet im sokratischen „Rede“partner („Ja“, „Stimmt“). Ein Briefwechsel bedarf also einer Ant-wort. Dazu ist es nicht notwendig, dass jeder Satz zerlegt wird, aber das neue Sätze eingeführt werden, auf die Bezug genommen werden kann, da sie in ihrer Augenblicklichkeit bisher unbedacht blieben.

Meine Briefe sind nicht frei von Torheiten, da ich versuche augenblickliche Gedanken aufzugreifen und nicht ewige Wahrheiten zu erstellen. Im nächsten Brief werde ich mir vielleicht schon selbst widersprechen bzw. meine Gedankenwelt um neue Gedanken erweitern.

Du wirst wie immer in meinem Briefen, das finden, was du spielend umgehen kannst, und anderes, was dich anzugehen scheint. Du wirst auch deine eigene Fragen entdecken, mit dem Text entdecken, auch jene, die nun noch gar nicht daliegen. Bis dahin.

Grüße Stefan

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