Werder droht den Anschluss zu verlieren: Gute Zahlen, schlechte Zahlen


Die fetten Jahre sind bei Werder lange vorbei. Der Umsatz ist eingebrochen, der Etat für die Profimannschaft geschrumpft. Das vergangene Geschäftsjahr war das dritte in Folge mit einem Millionenminus – und das in einer Zeit, in der das Gesamtprodukt Fußball-Bundesliga boomt wie nie zuvor.

Am Montag wird Klaus Filbry in der Werder-Halle an der Hemelinger Straße ans Mikrofon treten. Jedes Jahr im November lädt Werder Bremen zur Mitgliederversammlung ein. Filbry, Vorsitzender der Geschäftsführung, verkündet dann die Zahlen zum abgelaufenen Geschäftsjahr. Zum dritten Mal in Folge muss die Führung am Montag den Anwesenden ein Millionen-Minus erklären. Das ist inzwischen fast schon Routine. Im November 2012 waren es 13,9 Millionen für die Saison 2011/12, im November 2013 7,9 Millionen für die Spielzeit 2012/13, dieses Mal werden es wieder um die acht Millionen sein.

Die Entwicklung ist alarmierend. Die Bundesliga boomt wie nie zuvor. Nie besuchten mehr Menschen die Spiele, nie gaben Fans mehr Geld für Trikots und andere Vereinsartikel aus, nie zahlte das Fernsehen mehr Geld für die Übertragungsrechte. Und Werder? Der Verein droht genau in dieser Hochphase des Fußballgeschäfts den Anschluss zu verlieren.

Von 2004 bis 2011 spielte Werder in sechs von sieben Jahren in der Champions League. Seit vier Spielzeiten aber fehlen jährlich mindestens 20 Millionen Euro, mit denen Werder in den Champions-League-Jahren planen konnte. 13, 9, 14, 12 – so lauten die Platzierungen in der Bundesliga-Tabelle seither. Mehrfach steckte Werder mitten im Abstiegskampf, der auch in dieser Saison wieder droht. Der Umsatz ist von 130 Millionen Euro (2010) auf rund 90 Millionen gesunken.

Immerhin ist es der Sportlichen Leitung gelungen, den Etat für die Lizenzmannschaft von einst 54 Millionen auf 30 Millionen zu reduzieren, also anzupassen. Der Preis indes war hoch dafür, Werder hat sportliche Qualität verloren: Aaron Hunt, Sokratis, Tim Wiese, Claudio Pizarro oder Naldo waren für Werder nicht mehr zu halten. Um nur ein paar Namen zu nennen.

Ebenfalls bedenklich: Vor drei Jahren hatte der Klub noch 40 Millionen an Rücklagen. Wenn Werder in dieser Saison keine zusätzlichen Erlöse über Erfolge im DFB-Pokal, eine gute Abschlussplatzierung in der Bundesliga oder den Gewinn weiterer strategischer Partner erwirtschaftet, werden die Rücklagen im nächsten Sommer aufgebraucht sein.


Dass es auch anders geht, zeigen die Beispiele SC Freiburg und FSV Mainz 05. Beide Klubs, zu Werders Glanzzeiten phasenweise nur Zweitligisten, haben Geschäftszahlen vorgelegt, von denen man in Bremen nur träumen kann. Mainz machte bei einem Umsatz von fast 80 Millionen Euro fünf Millionen Gewinn. Freiburg legte gar ein Rekordergebnis vor: 12,8 Millionen Euro Gewinn. Man muss es am Bundesliga-Traditionsstandort Bremen so sagen: Mainz und Freiburg sind die neuen Vorbilder.

Und tatsächlich will Werder sein altes Erfolgsrezept wiederbeleben: günstig einkaufen oder selbst ausbilden – und dann teuer verkaufen. Wie Freiburg: Für das Quartett Makiadi, Kruse, Flum und Caligiuri kassierte der SC 2013 über zehn Millionen, in diesem Sommer sollen es sogar 16 Millionen für Torwart Oliver Baumann und Nationalspieler Matthias Ginter gewesen sein. Und Werder?

Werder befindet sich im Augenblick auf dem Transfermarkt im Hintertreffen. Freiburg holt Torwart Roman Bürki für 1,8 Millionen und Admir Mehmedi für vier. Mainz hat im Winter Ja-Cheol Koo für fünf Millionen verpflichtet und im Sommer noch mal 8,5 Millionen ausgegeben. „Die anderen Klubs können inzwischen investieren, wie sie es früher nicht konnten“, sagt Geschäftsführer Thomas Eichin – und meint damit nicht länger nur alimentierte Klubs wie Leverkusen, Hoffenheim oder Wolfsburg.


Werder fehlen die Erlöse aus Spielerverkäufen. Was waren das für Zeiten? 24,5 Millionen gab es für Diego, als sich der Spielmacher 2009 in Richtung Juventus verabschiedete. 17 Millionen für Mesut Özil, zehn Millionen für Per Mertesacker. Aber seitdem brachte nur noch Sokratis knapp neun Millionen ein, doch auf diesen Transfer sind noch Abschreibungen in Millionenhöhe fällig. Andere vermeintlich lukrative Transfers waren Verlustgeschäfte: sportlich wie finanziell. Marko Arnautovic war für über sechs Millionen aus Mailand gekommen und ging für geschätzte 2,8. Mehmet Ekici: für fünf Millionen geholt, für 1,5 verkauft. Lukas Schmitz: Ablöse eine Million, danach ablösefrei zu Fortuna Düsseldorf.

Im aktuellen Kader ragt Eljero Elia heraus, der für angeblich 5,5 Millionen Euro kam und für diesen Preis unverkäuflich erscheint. Auch die drei Millionen für Makiadi wird Werder bei einem Weiterverkauf nicht wieder erlösen können; bei Nils Petersen ist dies ebenfalls fraglich. So ist Werder gezwungen, vermehrt nach ablösefreien Spielern zu suchen.

Das Weserstadion ist eine Belastung. Malerischer könnte es gar nicht liegen. Die Weser umschmeichelt das Stadion, das quasi mitten in der Stadt liegt – wo gibt’s das noch? Aber Werder zahlt für diese Romantik einen hohen Preis. Der Umbau hat 80 Millionen Euro verschluckt. Zum Vergleich: Der komplett neu gebaute Borussia-Park in Mönchengladbach war nicht viel teurer, bietet aber 54 000 Zuschauern Platz. Das Weserstadion fasst zu Bundesligaspielen dagegen 42 500. Laut Werder fallen zudem für das Verkehrs- und Sicherheitskonzept jährlich über eine Million Euro an.


Ebenfalls ein Problem: Bei der Kalkulation für den Stadionumbau ging man bei Werder einst von 20 Heimspielen in Liga, Pokal und Europacup aus. Seit Jahren fehlen aber diese drei Spiele aus den Pokalwettbewerben – die Kredite mit Zinsen und Tilgung müssen trotzdem von der Weserstadion GmbH bedient werden, die zur Hälfte Werder und zur Hälfte der Stadt gehört. Die Erlöse im sogenannten Hospitality-Bereich sind laut Werder zwar stabil geblieben. Aber trotz des Ausbaus der VIP-Logen und Business-Seats klafft eine Lücke von ein bis zwei Millionen Euro pro Jahr.

Die Fernsehgelder sprudeln, aber Werder profitiert nur wenig davon. Es ist der größte Deal der Geschichte, den die Deutsche Fußball-Liga und der Sender Sky bis 2017 abgeschlossen haben. 2,511 Milliarden Euro zahlt der TV-Sender für die Übertragungsrechte. 585 Millionen waren es vergangene Saison, die an die Klubs der 1. und 2. Liga in einem Verhältnis von 80:20 ausgeschüttet wurden. Zugrunde liegt der Berechnung ein Ranking, das die Bundesliga-Platzierungen der vergangenen fünf Jahre berücksichtigt. Das Abschneiden in 2013/14 wird fünffach gewertet, die Vorsaison vierfach, das Jahr davor dreifach und so weiter. Dazu kamen zuletzt noch 65,6 Millionen Euro aus der internationalen Vermarktung.

Die Krux für Werder: Absolut kassieren die Grün-Weißen zwar Jahr für Jahr mehr Geld, dies aber nur, weil insgesamt mehr Geld ausgeschüttet wird. Laut der Quelle Fernsehgelder.de waren es zuletzt aus der Inlandsvermarktung 23,4 Millionen Euro und damit weniger als Mainz (26,3) und Freiburg (25,3). Noch schließt die Auslandsvermarktung diese Lücke, hier kassierte Werder für 2013/14 über vier Millionen, Mainz und Freiburg deutlich weniger.


Insgesamt wäre für die Bremer aber viel mehr Geld drin, wenn der Klub durch die schlechten Platzierungen in den vergangenen Spielzeiten nicht inzwischen auf Platz elf im TV-Ranking abgerutscht wäre. In der Saison 2010/11 war Werder noch Sechster. Und als Faustregel gilt: Ein Tabellenplatz in der Fernseh-Tabelle kostet circa 1,1 Millionen Euro. Leichte Hoffnung: Man denkt beim Verteilschlüssel darüber nach, künftig eine Art „Fan-Komponente“ einfließen zu lassen, das heißt, die Einschaltquote bei Sky zu berücksichtigen. Dort erzielen Werder-Spiele nach wie vor deutlich bessere Quoten als etwa die Partien von Wolfsburg, Leverkusen oder Hoffenheim.

Weitere Erlösquellen sind unabdingbar. Werder hat nach eigener Darstellung im Sponsoringbereich zugelegt. Einen großen Batzen steuert Trikotsponsor Wiesenhof bei. Die geschätzten sechs Millionen Euro, die der Geflügelproduzent jährlich zahlt, gehören ligaweit ins obere Drittel. Klubs wie Freiburg oder Mainz erlösen bestenfalls die Hälfte. Die Kritik vieler Fans am umstrittenen Sponsor Wiesenhof hat Werder trotzdem nicht von einer Verlängerung bis 2016 abgehalten, so lukrativ schätzt man die Zusammenarbeit offenbar ein.

Im Merchandising-Bereich hat es bei Werder einen Rückgang gegeben, den der Verein nicht näher beziffern will. Für die Verantwortlichen ein normaler Vorgang, weil der sportliche Erfolg fehlt. Die Wiesenhof-Kritiker machen den Trikotaufdruck dafür verantwortlich. Bestimmt liegt es am Fehlen großer Namen im Kader wie einst Özil, Pizarro, Mertesacker oder Frings, deren Trikots früher der Renner waren.

So oder so: Werder braucht frisches Geld. Ein Anfang war die Vertragsverlängerung mit Vermarkter Infront, die Werder acht Millionen Euro ab sofort garantiert. Kritiker monieren eine zu große Abhängigkeit von Infront, Befürworter freuen sich über das Geld und verweisen darauf, dass Werder – im Unterschied zu anderen Klubs – noch kein Tafelsilber wie den Stadionnamen oder Markenrechte veräußert hat.

Dazu besitzt der Klub die Möglichkeit, Anteile an der Werder GmbH & Co. KG aA zu verkaufen. Schätzungen gehen davon aus, dass Werder 250 Millionen Euro wert ist. Ein Aktionär, der zehn Prozent kauft, müsste also um die 25 Millionen Euro dafür lockermachen. Aktionären mit mindestens 20 Prozent Beteiligung würde ein Sitz im Aufsichtsrat zustehen.

Öffnet sich Werder so weit? In Bremen wird gern auf die Probleme hingewiesen, die Investoren oder Mäzene andernorts verursachen, weil sie zu viel Einfluss nehmen wollen. Eine andere Frage ist: Wie attraktiv ist das Investment in einen Klub wie Werder überhaupt noch?

Es ist ein Teufelskreis, in dem sich Werder bewegt, und aus dem es nur einen Ausweg gibt: sportlichen Erfolg.

Marc Hagedorn 20.11.2014
Quelle: http://www.weser-kurier.de/werder/werder-bundesliga_artikel,-Gute-Zahlen-schlechte-Zahlen-_arid,993986.html

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