Vor dem Brandenburger Tor protestieren etwa 20 Asylbewerber. Sie fordern eine andere Asylpolitik in Deutschland. Ist das ein Thema? Sollen wir darüber berichten?

Diese Frage haben wir uns heute morgen gestellt – und das auch transparent gemacht. http://bit.ly/VXglX2. Reaktionen: „Natürlich besteht Bedarf an Berichterstattung – aber bitte etwas plötzlich! #ZDF- #Lügenpack“, twittert @Regimekritiker. „Wow“, denke ich. „Für mehr Menschlichkeit solltet ihr wirklich berichten“, schreibt @KaiEff. Und @unkreativnet meint: „Ich sehe da eine moralische Pflicht, Öffentlichkeit herzustellen.“

Das ist ein interessanter Punkt. Sind Journalisten dazu da, auf Missstände aufmerksam zu machen? Müssen sie vielleicht sogar die Verhältnisse verändern wollen? Die christliche Publizistik fordert genau das. „Fürsprache üben“ ist der Leitsatz des Robert Geisendörfer Preises, der Beiträge auszeichnet, die das "menschliche Verantwortungsbewusstsein" fördern. Hintergrund ist in der christlichen Publizistik ein Spruch aus dem Alten Testament: „Tu deinen Mund auf für die Schwachen.“

Man kann so argumentieren: „Vor dem Brandenburger Tor frieren Menschen. Verleiht ihnen eine Stimme. Nutzt Eure Macht. Berichtet“, so der Tenor. Ich widerspreche trotzdem – mit einem Zitat von Hanns Joachim Friedrichs: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“

Journalismus ist ein Handwerk. Es gelten nachrichtliche Kriterien. Relevanz, Betroffenheit, Prominenz – das sind einige der Kriterien, nach der wir Ereignisse abzuklopfen haben. Bitte bekommt jetzt keinen Schaum vor den Mund. Aber: Eine Demonstration von 20 Menschen erfüllt diese Kriterien eigentlich nicht. Damit will ich überhaupt nicht sagen, dass die Demo unwichtig ist. Aber die Relevanz überschreitet meiner Meinung nach eine gewisse Schwelle nicht.

Wir haben trotzdem für heute.de berichtet: http://bit.ly/V077rx . Warum? Weil Twitter und andere Netzwerke das Thema relevant gemacht haben. Bundesweite Aktionen (Frankfurt, Braunschweig usw.) folgen. Dem entspricht auch unser Teaser: „Vor dem Brandenburger Tor protestieren seit Tagen Asylbewerber. Sie fordern eine andere Asylpolitik in Deutschland. Zunächst wollte das niemand hören. Bis der Aufschrei im Netz zu groß wurde.“ Morgen früh wird @indiesemnetz über diesen Aspekt auch im @ZDF morgenmagazin berichten.

Ich finde es absolut legitim, dass Beteiligte, Demonstranten, Sympatisanten uns zur Berichterstattung auffordern. Die Entscheidung darüber, ob wir berichten, müssen wir aber dennoch davon unabhängig treffen. Ich sage es mit Absicht einmal überspritzt: Selbst wenn der Shitstorm des Jahres uns auffordert, „gefälligst zu berichten“, müssen wir nein sagen – sollten wir die nachrichtlichen Kriterien nicht erfüllt sehen. Das ist unser Job.

Insofern finde ich das Lob über unsere Berichterstattung fast schon ein wenig schwierig. Zu groß die Gefahr, dass wir berichten, weil wir insgeheim auf Applaus und Klicks hoffen. „Na also, geht doch“, lese ich heute Abend. Und @joergimd twittert: „Warum müssen wir Euch immer so stark bearbeiten.“ Versteht mich nicht falsch, aber ich will gar nicht bearbeitet werden. Von niemandem. Nicht bei Twitter. Nicht durch Anrufe. Ich will unabhängig entscheiden – und mich der Kritik an meiner Entscheidung gerne stellen.

So gesehen war das heute ein richtig spannender Tag.

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