#Matthias #Reim #Konzert #Kritik

Manchmal muss ich einfach über die Stränge schlagen. Dann muss ich Grenzen überschreiten und verrückte Dinge tun. Marathon laufen, mich tätowieren lassen oder Bungee springen.

Oder auf ein Konzert von Matthias Reim gehen.

Ok, zugegeben: ganz freiwillig war diese geschmackliche Grenzüberschreitung nicht. Halb hat man mich überredet, halb war ich neugierig auf diese Erfahrung.

Ich erwartete einen unterhaltsamen Abend im Kreise frustrierter Hausmütterchen auf Freigang, irgendwo zwischen Bierzelt und Mallorca-Discofox. Und meine Erwartungen wurden voll erfüllt.

Schon auf dem Weg zum Konzert lief uns eine Gruppe von ca. 25 sektbeseelten Hausfrauen mit selbstbedruckten Fanshirts über den Weg. Zu ihren Gunsten hoffte ich kurz, sie wären eine Junggesellinnnenabschiedsgesellschaft, in diesem Fall hätte man das eventuell durchgehen lassen können. Allerdings meinten sie das völlig ernst. Billigsekt von „halbtocken“ aufwärts und Spumante kreisten in Massen.

Fast pünktlich um 20 Uhr erschien der Sangesstar mit einem Glas Bier auf der Bühne. Es gehört wohl zu einer unausgesprochenen Übereinkunft zwischen Matthias Reim und seinen Fans, dass man sich angesoffen gegenseitig leichter erträgt.

Mickrig sieht er aus. Geschätzte 45 Kilo. Wie eine Arte Victoria Beckham die Solarium verdörrt ist. Unsere Muttis und Omas würden wohl anfangen, Butterbrote zu schmieren.

Beim Intro zum ersten Song habe ich das Gefühl, den Titel zu kennen. War dann aber nicht. Den Effekt hatte ich am ganzen Abend noch gefühlte 15 Mal, was daran liegt, dass Matthias Reim genau 3 Arten von Songs schreibt: solche, die klingen sollen wie „Verdammt ich lieb´ dich“, solche, die ganz anders klingen sollen als „Verdammt ich lieb´dich“ und Balladen.

Die Balladen sind das Schlimmste.

Stimmlich variiert der Sangesbarde zwischen genau zwei Tönen: einem brummigen Tiefen und einem schief klingenden Hohen. Diese trägt er vor mit dieser Stimme, die durch hunderte Hektoliter Bier und Millionen von Zigaretten ein bisschen an eine alte Puffmutter erinnert.

Die Songs, die so gar nicht wie „Verdammt ich lieb´ dich“ klingen sollen, tun dies übrigens ganz besonders.

Von hinten bewundere ich die frisch frisierten Fönköpfe der vor mit stehenden Konzertbesucherinnen. Vornehmlich sind sie weiblich, 45 aufwärts und offenbar froh, ihrem tristen Alltag mal entfliehen zu dürfen. Ich frage mich jedoch warum ausgerechnet hier her.....

Vorn wird offenbar der Sekt knapp. Ein Befruchtungsdampfer, der seine besten Jahre offenbar schon hinter sich hat, schiebt sich durch die Menge zum Getränkestand. Sie drückt mir ihr Donnerdekollté - gefühlt Körbchengröße F, allerdings verzichtet sie zur Feier des Tages auf Körbchen - auf den Arm. Von der anderen Seite rammt mich eine tanzende Büffelhüfte.
Hilfe. Ich muss weg.

Zum Glück ist erstmal Pause, der Künstler muss offenbar nachtanken.

Nach 20 Minuten geht es weiter, meine linken Nachbarinnen haben gewechselt. Lady Tigerleggins mit kaputtblondiertem Haar und ihre Freundinnen stehen jetzt neben mir. Hollundersekt hält sie bei Laune.

Tigerlady kreist zu jedem Song die Hüften, egal ob Ballade oder Discofox. Sie macht sich nicht die Mühe, den Rhythmus zu wechseln. Die gefakte Gucci-Handtasche, die dabei an ihr herumschwingt, würde mir als Koffer für 2 Wochen Urlaub reichen.

Es kommen noch 5 Songs, die klingen sollen oder wollen wie „Verdammt ich lieb´dich“. Dann plötzlich versucht sich das magere halbe Hähnchen da vorn an einer Coverversion von „Über sieben Brücken musst du geh´n“.

Ich bin ja ein toleranter Mensch und habe bisher teilweise sogar brav mitgeklatscht und mitgetanzt, aber das geht zu weit. So einen schönen Song zu vergewaltigen- das tut man einfach nicht.

Nach etwa zwei Stunden ist es dann soweit, nach zwei Zugaben kommt „Verdammt, ich lieb´dich“. Irgendwie hat man das Gefühl, den Song an dem Abend schon14 Mal gehört zu haben, aber irgendwie ist es auch ein erlösendes Gefühl. Schließlich ist es das sichere Zeichen, dass es nun vorbei ist und ich nach Hause darf.

Nee, war ja nicht schlecht. Manche Songs sogar ganz schön. Aber halt nicht so wirklich meins.

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